Vernissagerede SAGEN WIR WEISS

Vernissagerede zu  “SAGEN WIR WEISS” von Heller.Ulmer, Bregenz, Mai 2019 von Maria Jansa – mariajansa.at

Gehe gleich „in medias res“ mit der Frage: Was hat Moby Dick, der weisse Wal, aus dem Roman von Hermann Melville, mit dieser Ausstellung zu tun? Doch darüber später.

Einen schönen guten Abend werte Kunstinteressierte und meine lieben zwei Kolleginnen!

Die zwei Künstlerinnen Gabriele Ulmer und Yvette Heller sind uns unter dem Namen „Heller.Ulmer“ bekannt. Sie arbeiten schon seit 1998 kontinuierlich zusammen und haben ihre Werke mittlerweile an vielen Orten, von New York bis Prag, ausgestellt. – Die Biografie liegt auf.  

Ihre Arbeiten sind uns vor allem durch ihre Wachsbildobjekte bekannt. Sie bewegen sich aber auch in den Bereichen Objektkunst, entwickeln Installationen und überraschen uns mit Fotografiekonzepten. Besonders beeindruckend war die Fotoarbeit mit dem Titel „Ich ist eine Andere“. Da schlüpfte Yvette Heller in sehr sehr unterschiedliche Frauenrollen und Gabriele Ulmer portraitierte sie professionell mit der Kamera. Ein Projekt über 2 Jahre mit grossem Aufwand. Vorgestellt wurde diese Serie in der Galerie Lisi Hämmerle. Weiters nebenan im Kosmos Theater und dann noch beim Philosphicum Lech. Eine Doku in Form eines Fotobuches liegt auch auf.

Ihr habt euch sozusagen schon lange gefunden, denkt ähnlich, regt euch gegenseitig an, arbeitet ineinander, miteinander, experimentiert und ergänzt euch aufs Beste. Ein „altbewährtes“ Duo, ein seltenes Glück! Der Prozess beginne mit einer Idee, die in einen Dialog finde und sich dann zu einem Konzept weiterentwickle. Wie in jeder guten künstlerischen Arbeit mit offenem Ende. Es ist immer ein Risiko!

Nun, wie können wir uns Kunst annähern, ganz allgemein, wie ihr begegnen, wie sie beurteilen?

Denn extrem ausgedrückt, können wir immer schnell gefühlsmässig sagen „gefällt  mir“ oder „gefällt mir nicht“. Oder können vom Verstand her die Arbeiten interpretieren und mit Begriffen in eine Schublade stecken.

Da kommen mir die Gedanken von Susan Sontag entgegen. Diese New Yorker Künstlerin, Meisterin im Schreiben von Essays, Philosophin und Activistin, Filmemacherin, etc. nannte „INTERPRETATIONEN“ über Kunst schädlich, denn das würde die Welt arm und leer machen. Die Welt, unsre Welt sei leer und verarmt genug. Indem man das Kunstwerk auf seinen Inhalt reduziere und diesen dann interpretiere, zähme man es und mache die Kunst manipulierbar, bequem. Und da schlägt die Künstlerin vor, ein verstärktes Interesse für die Betrachtung der Form und der Gestaltung – in jedweder Kunst – zu entwickeln. Zitiere: „Denn ich sage nicht, dass Kunstwerke unbeschreibbar, dass sie nicht zu erläutern sind … die Frage ist nur: wie ?“

Ja, wie? Wir brauchen ein beschreibendes Element. Es braucht Zeit, in eine phänomenologische, also ganzheitliche Betrachtung zu finden. Bereichernd auch hier, wenn wir uns den Werken des Künstlerduos Heller.Ulmer langsam und von verschiedenen Seiten her annähern.

Erst kommt uns die Komposition entgegen: Form – Farbe – Material – Technik – Wörter, etc.

Form und Materie können in ein spannungsvolles Verhältnis treten, können in Harmonie sein oder sich in Dissonanzen verlieren. Die Werke der beiden Künstlerinnen sind harmonisch mit einer formalen und materiellen Ästhetik geschaffen. Wir können Ordnungsprinzipien entdecken, wie Reihung, Rhythmus, Gruppierung, Struktur, Symmetrie, Asymmetrie, usw. Wir sehen vielfältige konzeptionelle Serien.

Das Interesse der Künstlerinnen geht im Besonderen auf die Zwischenräume, auf die Leere, auf das sogenannte Nichts.

In der japanischen Ästhetik wird der Begriff des „MA“ verwendet, des leeren Raums zwischen den Dingen, der als das Wesentliche in allen Disziplinen begriffen wird. MA in Japan, hier im Westen sprechen wir vom Negativraum. Bitte nicht psychologisch werten. Negativraum ist nicht „schlecht“ und Positivraum ist nicht „gut“.

Negativraum ist ein Begriff, der in der bildenden Kunst und Architektur üblich ist. Damit wird der Bereich außerhalb des eigentlichen Objektes bezeichnet. Oder auch im DAZWISCHEN. Dieses gibt Durchblicke frei, wie der Durchblick zwischen zwei Säulen in der Architektur. Genau in dem Bereich, wo keine feste, sichtbare Materie ist, genau dort ist Übergang, Verbindung, Kommunikation möglich. Wir sehen hier in den Bildern Zwischenräume, die das Format gliedern und die mit Wachs aufgefüllt sind.

Das sehen wir, wenn wir nähertreten, dann fällt der Blick aufs Material,

auf die Wachsschichten. Es ist eine ausgeklügelte Wachsmischung von Bienenwachs, Harzen, Paraffin. Es sei ein altes Bildhauerrezept, wohl eine technische Meisterleistung von Heller.Ulmer. Die Wachsschichten mit ihrer weissen Farbe wirken lebendig, halten uns aber auf einen respektvollen Abstand. Trotz Exaktheit sind es die Unschärfen in der reliefartigen Oberfläche, die einen ansprechen. Die Sinnlichkeit in dieser Materialästhetik kann atmosphärisch gespürt, bzw. erspürt werden. Geometrische Abstraktionen erzeugen ein enges Verhältnis zwischen Form und Farbe. Nichts Überflüsssiges, keinerlei Verzierungen. Nach dem Motto: less is more.

Schauen wir die Werke auch seitlich an,

nicht nur frontal. Es wird reliefartig mit Höhenunterschieden, bekommt Tiefenwirkung. Licht und Schatten. Es wird ein dreimensionales Objekt. Sehr viel Erfahrung und Können steckt darin. Leinwände werden gefaltet, genäht, es entstehen Kanten und Stege. Stellen Sie sich vor, eine ca. 6m lange Leinwand wird durch Bearbeitung auf eine der Bildflächen hier im Raum reduziert. Eine Wachschicht verbindet die Erhöhungen, macht das kantige Leinwand-Relief sanft und weich mit einer milchigen, semitransparenten Farbe. Ein Lob der Meisterschaft!

Es muss ein spannender Moment sein, wenn sich das flüssig warme Wachs langsam über die gestaltete Oberfläche verteilt. Wenn es Leerräume füllt und wenn es dann langsam aushärtet.    „Jeder Griff muss sitzen“, hat Joseph Beuys 1973 auf einer Editionspostkarte vermerkt. „Jeder Griff muss sitzen!“

Wachs ist ein formbares sinnliches Material, riecht gut, ist haptisch und trotzdem geheimnisvoll. Doch je nach Lichteinfall und eigener Stimmung kann so eine Oberfläche auch morbid anmuten. In diesem Sinne tauchen Erinnerungen an die belgische Künstlerin auf: an Berlinde De Bruyckere (Breukere), an ihre Ausstellung im KUB. – Dort geisterhaft unheimlich.

Wäre da nicht das Wort, das einen abholt, aber zum Rätseln bringt.

Das Format selber entstehe meist durch den Inhalt, so sagen die Künstlerinnen.

„Privateigentum kein Durchgang“, das ganz lange schmale Format, links von mir, wie ein umrahmter Balken. Es sollte quer hängen, so war es ursprünglich gedacht.

Im Mittelpunkt der Arbeiten stehe immer auch die Sprache, die Buchstaben und Wörter, das Gesagte und noch viel mehr das Ungesagte. Sprache lebt ja auch von Rhythmus, Regeln, Gesetzmässigkeiten. Werden Texte reduziert und zergliedert in Laute und Buchstaben, was bleibt dann noch? Die Chance für neue Zusammensetzungen mit Nichtwörtern oder nichtgesagten Wörtern, letztlich Stille. Diese ist den Künstlerinnen wichtig. Dazu Botschaften, die nicht belehren, sondern rätseln lassen. 

Das Duo Heller.Ulmer beschäftigt sich in den neuesten Arbeiten, den Siebdrucken, mit den kleinsten Elementen der Sprache, mit den Buchstaben und Lauten. Doch es setzt sie nicht zu Wörtern oder Sätzen zusammen, sondern durchmischt sie nach dem Prinzip Chaos und Ordnung und zerlegt sie in noch kleinere Teile. Die einen scheinen sich aufzulösen oder sich zu verflüssigen wie Moleküle, die anderen bewegen sich auf einander zu. Neben klar erkennbaren Schriftzeichen sind auch Fragmente sichtbar. Thematisiert werden Sprache, Kommunikation und Semantik. Was macht Sprache aus? Wo fängt Sprache an?

Mit ihren Bildern übersetzt das Künstlerinnenduo die leisen Töne und die Lücken im Text. Die Farbe zieht sich in seine eigene Natur zurück. Es bleiben Nuancen von Weiß.

 “SAGEN WIR WEISS”

Also keine Behauptung!

WEISS in allen Nuancen und Schattierungen. Doch was wäre Weiss ohne Schwarz … konturlos? Weiss und auch Schwarz sind unbunte “Farben”. Wir suchen sie vergebens in den verschiedenen Farbkreisen.

Vor zwei Wochen anwortete mir Gabriele Ulmer in einem Mail auf ein frisches Schneefoto aus meinem Garten. Ihre Worte: “Ja, … weiß wie Schnee, wie die Unschuld, wie die Leere eines Raumes, wie die Fülle aller Farben, wie das unbeschriebene Blatt Papier … oder einfach nur das Gegenteil von Schwarz?” –  SCHNEE ist für mich persönlich das ultimative WEISS. Wenn abgeschottet von der Welt, eingeschneit in einer weissen Fülle. Ohne Anfang ohne Ende. Die Seele verliert sich in die Weite, in die Leere ohne Ränder, in ein NICHTS.

Weiss als das NICHTS wird ganz besonders in der japanischen Kultur erlebt und  beschrieben:

„WEISS“, ein Juwel von einem kleinen Büchlein, von Kenya Hara, einem Professor an einer Kunstakademie in Japan, er sagt:

„Weiss als solches gibt es nicht. Was es gibt, ist die Empfänglichkeit dafür, Weiss zu empfinden“

„Manchmal verwenden wir Weiss in der Bedeutung der Leere. Weiss als Nichtfarbe wird dann zum Sinnbild für das Nicht-Sein, auch als Möglichkeit des Noch-nicht-Seins, … also als etwas, was erst noch mit Inhalt gefüllt werden muss.“

In unserer westlichen Kultur finden wir in der Literatur eine grossartige Beschreibung über die Kulturgeschichte der Farbe WEISS: Jetzt komme ich zu „Moby Dick“ und zwar zum 42. Kapitel des Klassikers. Da stehen über einige Seiten interessante Hinweise auf viele Völker und Kulturen im Umgang und im Erleben mit der Farbe WEISS. Empfehlenswert! Doch über das Weiss des Wals steht: „Der Wal war weiss – und das entsetzte mich mehr als alles andere. … Die Furcht vor jenem entsetzlichen Weiss. – Dieses Unfassbare ist die Ursache, warum die Vorstellung des Weissen, wenn es aus den freundlicheren Beziehungen und mit etwas an sich Entsetzlichem gepaart erscheint, das Entsetzen bis zum höchsten Grade steigert.“

Ob es eine andere Farbe gibt als das WEISS, die in ihrer Wirkung eine solch extreme Spannbreite an Erfahrungen nachweisen kann? Vom heiligen, königlichen, reinen, unbefleckten Weiss zum entsetzlichen Weiss. Um in unsren Breiten zu bleiben, denken wir z.B. an eine herunterdonnernde Lawine oder weit harmloser an unsre weissen Lipizzaner in der Hofburg.

Abrunden möchte ich meine Gedanken mit einem Blick auf die Kunst des Verweilens.

Im Verweilen entdecken wir in den Werken des Künstlerinnenduos Heller.Ulmer Vielfalt und Differenziertheit und finden letztlich zu einem atmosphärisch ganzheitlichem Erleben.

Und, was ich selber gerne in Ausstellungen mache, ich suche mir in der Fülle der Werke meinen Liebling aus und nehme ihn dann mit.  –  Natürlich, nur im Kopf.

DANKE!